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#OutInChurch – Interview mit den Franziskanern Norbert Lammers und Cornelius Bohl

Am 24. Januar 2022 lief zur besten Sendezeit in der ARD der Beitrag „Wie Gott uns schuf“. Die Sendung war der Auftakt zu einer Initiative queerer Menschen, die unter dem Titel #OutInChurch bekannt geworden ist.

In der Dokumentation kommen Menschen zu Wort, die im Dienst der katholischen Kirche in Deutschland stehen und nicht der herrschenden heterosexuellen Normvorstellung entsprechen. Mehr als 120 Gläubige wagten den gemeinsamen Schritt in die Öffentlichkeit und erzählten vom Kampf um ihre Identität in ihrer Kirche. In dem sehr berührenden Beitrag wurde deutlich, wie schmerzlich das Versteckspiel für die Betroffenen ist und wie groß das Risiko, bei der Entdeckung die Existenzgrundlage zu verlieren.

Einer von denen, die sich selbst geoutet haben, ist der Franziskaner Norbert Lammers. Der gebürtige Emsländer trat 1984 in den Franziskanerorden ein. Er ist Priester und arbeitet u. a. als Priesterseelsorger im Bistum Limburg. Seit 2010 gehört der Exerzitienbegleiter zum Konvent des Exerzitienhauses der Franziskaner in Hofheim. Kerstin Meinhardt sprach mit Bruder Norbert Lammers und mit dem Provinzialminister der Deutschen Franziskanerprovinz, Cornelius Bohl.

Bruder Norbert, Sie sind einer von über 120 Mitarbeitenden der katholischen Kirche, die sich in einem ARD-Fernsehbeitrag geoutet haben. Mit wem haben Sie die Erstausstrahlung vor dem Fernseher verfolgt?

Br. Norbert LammersBr. Norbert: Wir als Hausgemeinschaft in Hofheim haben den Beitrag am Abend nicht gemeinsam gesehen. Jeder war schon neugierig und hatte ihn deshalb vorher in der Mediathek angeschaut. Im Vorfeld und im Nachgang haben wir darüber miteinander gesprochen. Das waren gute Gespräche – sehr unterschiedlich, aber auch sehr persönlich.

Darüber hinaus war die Resonanz enorm. In den ersten drei Tagen bin ich zu kaum etwas anderem gekommen, weil sich unglaublich viele Menschen bei mir gemeldet haben. Die Reaktionen waren überwältigend und ganz überwiegend positiv. Es haben auch viele Brüder persönlich mit mir Kontakt aufgenommen, auch Bruder Cornelius, mein Provinzialminister. Das hat mich sehr getragen. Ich habe es als Ermutigung und Rückendeckung empfunden.

Bruder Norbert Lammers ofm. Bild von Kerstin Meinhardt

Im Vorfeld hatten Sie erzählt, dass Sie sich bereits anderthalb Jahre zuvor in einem Gemeindegottesdienst als schwul geoutet hatten. Sie sagten, Sie hätten sich damals nicht mehr verstecken können, aber zugleich Schlimmes befürchtet. Doch die Reaktion der Gemeinde sei ganz anders gewesen als erwartet, die Gottesdienstbesucher wären aufgestanden und hätten applaudiert. Was hat sich mit der Ausstrahlung dieses Beitrags jetzt verändert?

Br. Norbert: Dass wir uns als viele Betroffene sichtbar und hörbar machen konnten, macht mich froh und dankbar. Ich kann jetzt noch ein Stück freier und offener mit dieser Situation umgehen. Ich muss nicht mehr Angst haben, dass mir jemand auf die Spur kommt. Es ist eine Befreiung. Eine große Verunsicherung war für mich, dass meine Eltern und meine Geschwister und meine Neffen bis dato nichts wussten. Ich habe mich gefragt, warum ich so lange damit hinterm Berg gehalten habe, denn meine Eltern waren sehr aufgeschlossen und wohlwollend, ebenso meine ganze Familie. Auch in meiner Ausbildung habe ich immer Menschen getroffen – auch Brüder –, zu denen ich Vertrauen haben konnte. Aber an diesem Punkt konnte ich mich nie öffnen. Ich glaube, ich habe mich damit ein Stück weit selbst ins Abseits gesetzt.

Solche Ängste – die existenzielle Furcht vor Ablehnung – haben in der Dokumentation viele kirchliche Mitarbeitende zum Ausdruck gebracht. Zudem scheinen die Sorgen nicht unbegründet, wegen einer queeren Identität den Job zu verlieren. Am Sonntag nach der Ausstrahlung hat der Vorsitzende der Bischofskonferenz, der Limburger Bischof Georg Bätzing, zwar Änderungen in Aussicht gestellt und gesagt, dass aus seiner Sicht solche Dinge nichts im kirchlichen Arbeitsrecht verloren hätten. Aber momentan bangen noch viele der Betroffenen …

Br. Norbert: Als unter Papst Benedikt sehr deutlich gesagt worden ist, dass Homosexuelle nicht zu Priestern geweiht werden können, habe ich mich natürlich gefragt, wie ist es jetzt bei mir? Bin ich gültig geweiht? Bin ich wirklich berufen? Was aber das Arbeitsrecht betrifft, bin ich als Ordensmann vielleicht in einer eher besseren Situation als viele andere, denn die Ordensgemeinschaft gibt mir Rückendeckung und Freiraum. Anders ist es bei den Menschen, die vom Bistum angestellt sind …

Pater Cornelius, können Sie nachvollziehen, weshalb Kirche – insbesondere Rom – sich so schwertut mit diesen Fragen?

Br.-Cornelius-Bohl.jpg

P. Cornelius: Wenn davon ausgegangen wird, dass praktizierte Homosexualität Sünde und wider die Natur ist, also nicht sein darf und nicht sein soll, dann spricht man am besten nicht darüber. Denn das, worüber nicht gesprochen wird, das scheint nicht da zu sein. Was das Arbeitsrecht angeht, halte ich es für nachvollziehbar, dass jemand, der in der Kirche arbeitet, dazu beitragen sollte, dass diese Kirche auch glaubwürdig ist. Er trägt den Sendungsauftrag der Kirche mit. Aber – und das wurde in dem Beitrag sehr deutlich: Ein System, das Angst macht, ist weit weg vom Evangelium. Der Anspruch, den kirchlichen Sendungsauftrag mitzutragen, wird dadurch ins Gegenteil verkehrt.

 

Cornelius Bohl ofm, Provinzialminister der Deutschen Franziskanerprovinz. Bild von Archiv Deutsche Franziskanerprovinz.

Wie geht die Ordensgemeinschaft im Rahmen der Ausbildung der Brüder mit dem Thema um?

P. Cornelius: Bei uns ist es im Ausbildergremium und in der Provinzleitung schon länger Konsens, dass das bloße Faktum, dass ein Interessent am Ordensleben homosexuell ist, per se kein Grund ist, ihn abzulehnen. Das ist aber keine platte Anpassung an den „Zeitgeist“. Wir müssen uns zugleich ehrlich fragen, was die evangelischen Räte für uns bedeuten. Was es heute heißt, „arm und gehorsam und keusch“ zu leben. Das trifft für jeden zu, egal, welche sexuelle Orientierung er hat. Die evangelischen Räte wollen gerade eine Alternative sein zu dem, was sonst das „Normale“ in unserer Gesellschaft ist.

Und wie ist es in der Begleitung der Brüder? Würden Sie jemanden ermutigen, sich zu outen, wenn er darunter leidet, dass ihn das Versteckspiel von anderen Menschen distanziert und einsam macht?

P. Cornelius: Das ist eine schwierige Frage, die sich nicht pauschal beantworten lässt. Grundsätzlich sind Wahrheit und Ehrlichkeit in der Kirche und in einer Gemeinschaft wichtig. Das heißt aber nicht, dass jeder Bruder in der Gemeinschaft alles von sich preisgeben muss. Da sind Brüder doch auch sehr unterschiedlich. Jeder Bruder braucht auch ein Stück Privatheit. Und es ist auch wichtig zu sehen, dass es in der Provinz ganz unterschiedliche Positionen zum Thema „Homosexualität und Kirche“ gibt. Ich möchte nicht, dass ein Druck entsteht, dass jeder über alles in der Gemeinschaft reden muss. Aber ein Klima in der Bruderschaft zu schaffen, in dem es möglich ist, angstfrei darüber sprechen zu können, das wäre mir schon ein Anliegen. Allerdings muss ich ehrlicherweise sagen, dass wir als Ordensgemeinschaft es nicht genügend gelernt haben, über ganz persönliche Themen zu sprechen, insbesondere über Themen, die die Sexualität betreffen. Da müssen wir noch sprachfähiger werden.

Scheinbar können sich Ordensleute dieser ganzen Auseinandersetzung mit der Sexualität entledigen, indem sie sagen: „Ich habe ja die Gelübde abgelegt.“ Aber um das Thema kann sich niemand drücken. Die sexuelle Orientierung ist ein Teil der Identität des Menschen. Identität hat sicherlich verschiedene Facetten, die in unterschiedlichen Beziehungen und Rollen verwirklicht werden. Aber wenn ich ehrlich leben will – auch vor mir selber und nach außen –, dann brauche ich eine klare Identität, und dazu gehört auch meine sexuelle Orientierung. Dazu ist es notwendig, dass ich nichts verstecken oder unter den Teppich kehren muss.

Bruder Norbert, weshalb wurde gerade dieser Termin für #OutInChurch gewählt?

Br. Norbert: Der entscheidende Impulsgeber war sicherlich das Outing der vielen Schauspielerinnen und Schauspieler ein Jahr zuvor und das Nein aus Rom zur Segnung homosexueller Lebensgemeinschaften. Ein weiterer, wesentlicher Hintergrund ist die starke Diskrepanz zwischen der befreienden Wirkung der Botschaft Jesu und der Angst, in der ausgerechnet viele in der Kirche leben. Bei der Frage nach dem richtigen Zeitpunkt hat auch der gerade laufende Synodale Weg eine Rolle gespielt.

Pater Cornelius, was erhoffen Sie sich mit Blick auf den Synodalen Weg, die Deutsche Bischofskonferenz und den Vatikan bezüglich dieses Themas?

P. Cornelius: Ich habe die berechtigte Hoffnung, dass Kirche lernend unterwegs ist. Kirche entwickelt sich weiter unter Führung des Heiligen Geistes. Sie hat in der Geschichte schon vieles gelernt und sich verändert. Gerade was die Frage der Homosexualität betrifft, sind wir heute viel weiter als noch vor ein paar Jahrzehnten. Das gilt nicht nur bezüglich der gesellschaftlichen Einschätzung, es haben sich auch die wissenschaftlichen Erkenntnisse verändert. Kirche hat den Auftrag, die befreiende Kraft des Evangeliums immer in die jeweilige Zeit hinein erfahrbar zu machen. Und die ist heute eine andere als vor 50 oder vor 500 Jahren. Natürlich geschieht Lernen nie konfliktfrei, Veränderungen stoßen auf Widerstände. Zum Lernen gehört auch, dass bisherige Positionen kritisch und ehrlich überdacht werden. Unter Umständen muss dann manches modifiziert oder revidiert werden, es müssen Fehler eingestanden werden. Die Kirche, die sich wesentlich auf das Evangelium und auf Jesus bezieht und von ihm kommt, kann nicht dauerhaft ein System sein kann, das Angst macht. Da hoffe ich, dass sich die Kraft des Evangeliums durchsetzt.

Interview und Bearbeitung: Kerstin Meinhardt

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