Wie bereits im vergangenen Jahr, beschäftigte sich das Grundlagenseminar vom 22.-24. Juli 2022 in Hofheim mit unserer Zukunft. Ging es 2021 um das „Einfach Leben“, so in diesem Jahr um die „Gemeinwohlorientierung“ als franziskanisch-klarianische Lebensphilosophie.
Bericht vom Grundlagenseminar 2022
Erfreulich war wieder die bunt gemischte Truppe aus gut 30 Menschen mit franziskanischem Herzen aus den verschiedenen (Ordens)Gemeinschaften sowie Interessierte. Sie repräsentierte die Geschwisterlichkeit, die Papst Franziskus in seiner Enzyklika „Fratelli tutti“ einfordert.
Als Einstieg diente am Freitagabend nach der Kennlernphase ein Fragebogen zum persönlichen Verhalten.
Dabei wurden die fünf Felder Menschenwürde, Solidarität, Ökologische Nachhaltigkeit, Soziale Gerechtigkeit und Demokratische Mitbestimmung abgefragt. Im Anschluss tauschten sich die Teilnehmenden über die Ergebnisse dieses Selbsttests und die Gründe aus.
Die zweite Einheit am Samstagvormittag bildete eine historische Erschließung. Johannes Baptist Freyer OFM stellte die frühfranziskanische Bewegung dar und machte deutlich, dass es bereits im 13. Jahrhundert so etwas wie Gemeinwohlorientierung gab.
Die ersten Brüder waren mit ihren Schwerpunkten von Handarbeit und Sorge für die Aussätzigen eine sozialreligiöse Bewegung als Alternative zur kapitalistisch-religiösen Situation ihrer Zeit. Insbesondere in den ersten Jahrhunderten der Franziskaner beschäftigen sich zahlreiche Brüder auch mit ökonomischen Fragestellungen und versuchten, Beiträge zu einer alternativen Wirtschaftsordnung zu leisten. Ihr innovativer Ansatz einer Ökonomielehre auf der Basis solidarischer Geschwisterlichkeit und Genügsamkeit beinhaltete einen erweiterten Kapitalbegriff. Es geht ihnen nicht nur um das Geld, sondern ebenso um die Mitwelt, um sozial-politische Rahmenbedingungen sowie um Lebenswerte wie Schönheit, Authentizität und Glück. Leider sind diese Ansätze heutzutage weitestgehend unbekannt. Sie gründen auf dem franziskanischen Gottes- und Menschenbild. Die Werte „Bonum“, „Fraternitas“ und „Gratuitas“ stehen für die Tugenden von Großzügigkeit, Gerechtigkeit und Verbundenheit. Die Frage ist, welche Signale heute gesetzt werden können, beispielsweise in Form einer Gewinnbeteiligung als Strategie eines gemeinnützigen Unternehmertums.
Der Überstieg ins Heute bildete die dritte Einheit, in der Dr. Lukas Adams die GLS-Bank (Gemeinschaftsbank für Leihen und Schenken) als ein gemeinwohlorientiertes Unternehmen vorstellte. Ihr Wachstum an Kunden (aktuell 320.000) zeigt, dass es ein großes Interesse insbesondere bei jüngeren Leuten für derartige Geldinstitute gibt. Dr. Adams zeigte auf, wie sich die Gemeinwohlorientierung zunächst intern für die 725 Mitarbeitenden umsetzt. Er brachte verschiedene Beispiele von Kunden, die die GLS-Bank unterstützt, von selbstverwalteten Wohnprojekten, über eine Biogroßbäckerei bis hin zu ökologischem Landbau. Interessant war der Aspekt, dass der Bank Positivkriterien (was wollen wir unterstützen und fördern) wichtiger sind als negative Ausschlusskriterien.
Wie üblich widmete sich die vierte Einheit am Samstagnachmittag der Praxis. Dazu gab es vier Workshopangebote. Jörg Wittig brachte die Gemeinwohlökonomie nahe, um mit den Teilnehmenden der Frage nachzugehen: Wie gemeinwohlorientiert ist meine eigene Organisation? Die Gemeinwohlökonomie ist die Vision einer anderen Wirtschaft(sform). Sie will Rahmenbedingungen verändern, Prozesse initiieren und Leuchtturm-Projekte gestalten. Christiane Hütte stellte als Unternehmen aus der Praxis ihr Bio-Hotel in Frankfurt vor. Mittlerweile haben sich in Deutschland 600 Unternehmen dieser Bewegung angeschlossen und 100 Regionalgruppen versuchen, diesen Ansatz zu implementieren. Ein Ziel ist es, dass ab 2026 alle Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitenden eine Gemeinwohlbilanz vorlegen müssen. Letztlich bleibt als Grundfrage der notwendigen Transformation, ob es ein richtiges Leben im Falschen geben kann, also ein Nischenprodukt lediglich zur Legitimation des Systems dient oder tatsächlich zu einer substanziellen Umwandlung des Systems beiträgt.
Mit einer Exkursion verbunden war das gemeinwohlorientierte Wohnen. Nicht weit vom Exerzitienhaus gibt es ein Wohnprojekt mit 30 Personen, das von zwei Bewohnerinnen vorgestellt wurde. Zuvor hatte die geschäftsführende Leiterin der Landesberatungsstelle Gemeinschaftliches Wohnen in Hessen Birgit Kasper die theoretischen Grundlagen gelegt. Wichtig für ein gemeinsames Wohnprojekt ist eine sorgfältige Findungsphase für das gemeinsame Ziel, die Konzeptentwicklung und die Finanzierung. Das Foto zeigt die spielerische Präsentation der Ergebnisse.
Die dritte Gruppe bereitete den Gartengottesdienst vor, der um 18 h zusammen mit weiteren Gottesdienstbesuchern gefeiert wurde und versuchte, das Thema aufzugreifen. Besonders ansprechend war für alle Beteiligten der „Verkündigungsteil“, bei dem alle eingeladen waren, anstelle des Evangeliums selbst Bibelstellen zu nennen, die sie mit Gemeinwohl in Verbindung bringen. Es kamen erstaunlich viele zusammen. Ein Beleg dafür, dass in allen Gläubigen der Geist Gottes wohnt und jede/r eine/r Verkünder/in der Frohen Botschaft ist gemäß dem Pauluswort: „Ihr seid der Tempel Gottes. In euch wohnt Gottes Geist.“ Die gottesdienstliche Feier zeigte, dass das Raumgeben im Vertrauen auf den Geist Gottes vieles ermöglicht. Der Geist weht, wo er kann.
Im Anschluss waren alle zu Austausch und Begegnung eingeladen.
Eine vierte Gruppe hatte ein einfaches Abendessen zubereitet, für das sie in einer Bäckerei und auf dem Markt nicht mehr benötigte Lebensmittel eingesammelt hatte, ergänzt durch einige fair gehandelte Produkte.
Ein Gebet um die Feuerschale mit Bewegung und Tanz rundete am späteren Abend mit Einbruch der Dunkelheit den reich gefüllten Tag.
Nach einem Morgenlob wurden die Ergebnisse der Workshops und die gemachten Erfahrungen am Sonntagvormittag ausgewertet und für die anderen präsentiert.
In einem Schlussritual waren alle gebeten, auf ein Puzzle-Teil einen ganz konkreten Schritt zu notieren, den jede und jeder in der kommenden Woche im Sinne der Gemeinwohlorientierung tun will. Mein-Wohl und das Gemein-Wohl gehören zusammen und ergänzen einander. Miteinander ergeben die Puzzle-Teile eine große (Welt)Kugel, die an die weltweite Dimension der Gemeinwohlorientierung erinnert.
Zugleich an den auch von Papst Franziskus immer wieder in Erinnerung gerufene Dimension, als Christinnen und Christen „politisch“ zu sein, da der Auftrag der Politik in der Gemeinwohlorientierung bestehe. Dass die Umsetzung leider häufig nicht in diesem Sinn erfolgt, ist hinreichend bekannt. Somit bleibt der solidarische Einsatz für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung weiterhin ein wesentlicher Bestandteil franziskanisch-klarianischer Spiritualität.
Text und Bilder: Br. Stefan Federbusch