Am 20. Februar 2022 wird um 10 Uhr in der Dortmunder Franziskanerkirche der Festgottesdienst zum 100. Todestag von Bruder Jordan Mai mit dem Paderborner Erzbischof Hans-Josef Becker gefeiert.
Zwar wurde der Franziskaner Bruder Jordan Mai bis heute nicht seliggesprochen, aber er weist eine hundertjährige Geschichte der Verehrung auf. Angesichts der Einschränkungen durch die Corona-Pandemie finden die weiteren Feierlichkeiten erst im September statt.
Zur Biografie und zur Spiritualität von Bruder Jordan Mai sind zwei Bücher erschienen. Zu seiner Vita eine Buchbesprechung von Stefan Federbusch zum Werk von Damian Bieger.
Jordan Mai – Sohn des Ruhrgebiets und Franziskaner
Am 20. Februar 2022 jährt sich zum 100. Mal der Todestag von Bruder Jordan Mai. Der „Ehrwürdige Diener Gottes“ liegt in der Franziskanerkirche in Dortmund begraben und hat seit seinem Tod eine vielfältige Verehrung erfahren. Der vorliegende Band stellt den „Sohn des Ruhrgebiets und Franziskaner“ vor und fragt nach seiner Bedeutung für heute.
Jede religiöse Biografie wird dabei drei Stränge nachverfolgen: die äußeren Ereignisse und Lebensstationen, die politisch-kulturell-gesellschaftlichen Prägungen sowie die glaubensmäßige Praxis. Der erste Strang orientiert sich an einer historischen Erforschung, der zweite in einer mentalitätsgeschichtlichen Darstellung und der dritte in einer theologisch-kirchlichen Betrachtung. Aus der Verknüpfung dieser drei Stränge ergibt sich eine Erfassung der Person und Persönlichkeit.
Der Autor Damian Bieger geht dazu den Weg zurück zu den Quellen, indem er die Akten des Seligsprechungsprozesses (Bischöflicher Informativprozess 1934-1937) auswertet und in den Rahmen der Industrie-, Ordens- und Frömmigkeitsgeschichte des 19. und frühen 20. Jahrhunderts einordnet. Dabei werden die enormen Wandlungsprozesse deutlich, die sich sowohl im säkularen wie im kirchlichen Feld in den letzten einhundert bis einhundertfünfzig Jahren vollzogen haben. Die 476 Endnoten verdeutlichen den Anspruch, „die Quellen als Quellen erkennbar zu machen“ (11), d.h. sich auf die nachprüfbaren Sachverhalte zu beschränken und diese in den zeithistorischen Kontext einzuordnen.
Jordan Mai erlebte „einen schwindelerregenden Umbruch der vertrauten Welt in all seinen Facetten: geboren im Preußen des deutschen Bundes, Zeitzeuge der Gründung des Kaiserreichs, Schüler im Kulturkampf, Lehre und Berufstätigkeit im Kontext der industriellen Revolution, Militärzeit unter den Vorzeichen von Kaiserzeit und Klassenkampf, wiedererstarkendes Ordensleben als moderne Alternative, strengkirchliche Frömmigkeit als Anker in Weltkrieg und turbulenter Nachkriegszeit“ (158).
Die Lebenszeit von Heinrich (Jordan) Mai von 1866 bis 1922 ist der Zeitraum der Ausbildung des so genannten „Katholischen Milieus“. „Dieses Milieu war gekennzeichnet durch einen „hohen Organisationsgrad“ im katholischen Vereinswesen, eine „gemeinsame rituelle Praxis“ durch die so genannte ultramontane Frömmigkeit und eine „parteipolitische Vertretung“ in der Zentrumspartei“ (10). Dies auf dem Hintergrund des Kulturkampfes, dessen heiße Phase in die Elementarschulzeit des im damals ländlichen Buer (heute Gelsenkirchen) aufgewachsenen Sohn eines Sattlers und Lohgerbers. Die ersten drei Kapitel zeichnen die Lebenswelt von Heinrich Mai bis zu seinem Ordenseintritt im Alter von 28 Jahren nach. Darin leuchtet zugleich sein tiefreligiöses Elternhaus auf, das mit seinen sechs Geschwistern insbesondere von der Mutter mit ihrer Frömmigkeitspraxis geprägt wurde.
Bedingt durch den Kulturkampf, konnten neue Brüder nur in Harreveld eintreten, einem Exilkloster in den Niederlanden. Bis 1909 diente es als Ausbildungshaus, das von 501 Novizen durchlaufen wurde, die Theologie studieren wollten sowie 636 Tertiarnovizen und 201 Brüdernovizen.
Bis heute existiert die Kennzeichnung vom „Harrevelder Geist“, der nicht zuletzt aufgrund mangelnder pastoraler Möglichkeiten nach außen einen eher nach innen gerichteten franziskanischen Lebensstil der Armut und Demut, des Gebetes und der Ordensstrenge charakterisierte. Die Ordensstruktur sah eine Trennung in Priester und Laienbrüder vor. Bruder Jordan gehörte zu letzteren und wirkte als (Hilfs)Koch in Paderborn, Münster, Hardenberg-Neviges und Dingelstädt. Von seinen 27 Ordensjahren verbrachte er dann 15 in Dortmund, wo er schwerpunktmäßig ebenfalls in der Küche sowie anderen häuslichen Diensten (Pforte, Sakristei) eingesetzt war.
Seine Persönlichkeit wird als still und zurückhaltend beschrieben und dabei stets bereit, seinen Mitbrüdern zu dienen, beispielsweise sie zu bewirten, wenn sie spät abends von pastoralen Tätigkeit oder vom „Terminieren“ (Sammeln von Naturalien) ins Kloster heimkehrten. Es verwundert daher nicht, dass es in der Einschätzung seines Charakters zu unterschiedlichen Ansichten kam. Auch seine Frömmigkeitspraxis ließ seinen Hausoberen fragen, ob er nicht „überspannt“ sei.
Bruder Jordan verbrachte trotz gesundheitlicher Einschränkungen wie starker Kopfschmerzen viele Stunden in Stille vor dem Altarssakrament, um für die zu beten, die kein christliches Leben entsprechend der Gebote Gottes pflegen. Sein Anliegen bringt Schwester Festina Stiegen, die einige Jahre zusammen mit ihm für die Küche verantwortlich war, so auf den Punkt: „Das Gebet für die armen Seelen und das sühnende Gebet für die armen Sünder verrichtete er am liebsten“ (91). Der hier beschriebene Sühnegedanke, sich aufzuopfern, der zur damaligen Zeit stark mit der Herz-Jesu-Frömmigkeit gekoppelt war, entspringt einem Glaubens- und Spiritualitätsverständnis, das heute in Deutschland nur noch rudimentär zu finden ist. Es spiegelt sich wider im franziskanischen Brüdergebetbuch „Der Weg zum Himmel“, das vor allen unterschiedliche Andachten vereinigt. Bruder Jordan wurde zum stillen Beter, dem sich auch die Brüder mit ihren (pastoralen) Anliegen anvertrauten.
Der Tod von Bruder Jordan steht im Zusammenhang mit dem Tabernakelraub aus der Dortmunder Klosterkirche in der Nacht vom 20. auf den 21. Januar 1922. Dabei wurden auch die im Tabernakel befindlichen geweihten Hostien entwendet, was als Sakrileg und religiös gesehen schwerstes Verbrechen galt. Zeitzeugen berichten, dass Bruder Jordan sein Leben als Sühnopfer für die Wiedergutmachung des Raubes angeboten habe. Er kündigte an, dass Gott ihn in einem Monat zu sich holen werde. Tatsächlich verstarb Bruder Jordan am 20. Februar um 23.15 h im Kloster. Bereits im Todesjahr lieferte sein Hausoberer P. Eleutherius die „Skizze eines Heiligenlebens“ ab, in dem er Bruder Jordan als Heiligen beschrieb. Sehr schnell setzte eine Verehrung ein, die sich praktisch darin zeigte, dass die Leute Erde von seinem Grab auf dem Ostenfriedhof in solchen Mengen mitnahmen, dass es durch ein Gitter geschützt werden musste (1950 wurden seine Gebeine in die Franziskanerkirche übertragen). Als Hauptgrund der Verehrung benennt eine umfangreiche Gruppe von Zeugen im Informationsprozess die Gebetserhörungen. Die Menschen erwarteten sich Hilfe in ihren vielfältigen Anliegen in einer Zeit des Verlustes von äußerer und innerer Heimat. „Jordan stach angesichts dieser Umbrüche als ein vollkommen unaggressiver und friedfertiger Mensch hervor; einer, der durch Verhalten und Gebet im Rückgriff auf althergebrachte Ordnungsvorstellungen zu ordnen versuchte, was ihm die Zeit zumutete“ (153). Und dies nicht nur für sich, sondern zugleich für die ihn umgebenden Menschen, weit über das Ruhrgebiet hinaus.
In seinem Schlusskapitel beleuchtet der Autor Zugänge zu Bruder Jordan, die sich im Laufe der Zeit verändert haben. Mit Joachim Schmiedl (2010) lässt sich fragen: „Ist er der ‚Provinzheilige‘, dessen Vorbild den gegenwärtigen und zukünftigen Aufgaben der Brüder entspricht?“ Allein schon die Frageform beinhaltet implizit das Nein der Antwort. Er ist es schon deshalb nicht, da die Sächsische Franziskanerprovinz 2010 Teil der gesamtdeutschen Franziskanerprovinz von der hl. Elisabeth wurde und ihn viele Brüder gar nicht kennen. Zudem entspricht seine Frömmigkeit als Kind seiner Zeit und des damaligen (Selbst)Verständnisses von Ordensleben nicht der Spiritualitätspraxis der meisten Brüder heute. Was bleibt, ist Jordan als Beter gemäß der Inschrift auf seinem Grabkreuz (von 1926): „Der Freund der Menschenbrüder, der viel für Volk und Stadt betet“ (157). Ein Mensch, der die Nähe zu Gott verkörpert, „heilig, aber nicht über die Alltagssorgen erhaben und dadurch nahbar“ (157). Dieser Zugang zum „Ehrwürdigen Diener Gottes“ Jordan Mai hat seit seinem Tod vor hundert Jahren Bestand und lässt bis heute Menschen mit ihren Anliegen zu seinem Grab in der Klosterkirche kommen.
Die Stärke des Werkes liegt darin, dass es keine „frömmelnde Heiligenvita“ ist, sondern eine wertschätzende, solide und in gewisser Weise historisch-nüchterne Nachzeichnung eines Mitbruders in seiner Zeit und Lebenswelt, „ein Text, der zwischen einer populären Biographie und einer wissenschaftlichen Arbeit angesiedelt werden muss“ (11).
Zur ergänzenden Lektüre sei auf das spirituelle Lebensbild verwiesen: Cornelius Bohl, Einfach echt. Der Franziskanerbruder Jordan Mai, St. Ottilen (Eos-Verlag) 2021.
Zum Autor:
Damian Bieger ist seit 1990 Franziskaner. Tätigkeit in der Gemeindeseelsorge. 2007 Promotion in neuzeitlicher Ordensgeschichte, seit 2020 Provinzbeauftragter der Deutschen Franziskanerprovinz für Geschichte und kulturelles Erbe.
Bibliografie
Damian Bieger, Jordan Mai. Sohn des Ruhrgebiets und Franziskaner
184 Seiten (mit 14 SW-Abbildungen), Aschendorff Verlag, Münster 2021, ISBN: 978-3-402-24792-1, Preis: 9,80 Euro
Buchbesprechung zum Download (pdf)
Nähere Informationen zu Bruder Jordan Mai unter: https://www.bruder-jordan-mai.de/